Wir bewegen uns langsam Richtung Norden – in diese Richtung soll es laut Hörensagen immer schöner werden. Jedenfalls wird das Wasser immer blauer, denn das Land kann gar nicht noch grüner werden.

in diesem Kapitel:
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Rausgeblasen aus Sint Maarten
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Venteux, windy, winderig
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Antigua – Urlaub bei Reich und Schön
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Soufflé & Bouillone
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Weiche Popos und Lungenflügel
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Dominiiica!

- 12.01.2023 – 12.02.2023
- Roseau, Dominica – Simpson Bay, Sint Maarten
- 361 sm
- mit dabei: Johanna, Michi
- 23 Nächte ohne Marina
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Rausgeblasen aus Sint Maarten
Unsere windige Woche mit Johanna & Michi neigt sich dem Ende entgegen. Obwohl wir keine ruhige Nacht und keine malerische Schnorchelbucht gefunden haben, wirken sie zum Glück vom Segeln nicht ganz abgetan.
Seit langem führen wir wieder einen fliegenden Crewwechsel durch. Kurz nach unserem umständlichen Anlegen in der Simpson Bay Marina steigt Jimi, der schon seit einer Woche in Sint Maarten urlaubt, aus den Tiefen seines letzten Tauchgangs empor und wir treffen uns in seiner Stammbar. Mit seinem Mietauto können wir uns zu fünft dann sogar noch auf zwei kleine Ausflüge begeben:
Zum einen der berühmt berüchtigte internationale Flughafen von Sint Maarten mit dem unmittelbar angrenzenden gefährlichsten Strand der Welt. Aus sicherer Distanz beobachten wir wie im Minutentakt kleinere Privatjets und gar nicht so kleine Passagierflugzeuge über unsere Köpfe brausen und Landen. Noch spektakulärer sind jedoch die Starts, bei denen die Düsen den gesamten Strand aufwirbeln, Taschen ins Meer wehen und den Badegästen und Schaulustigen ein Sandpeeling verpassen. Ein windiges Spektakel auf dieser windigen Insel.
Princess Juliana International Airport
Zum anderen schaffen wir es genau zum Sundowner noch in die malerische Indigo Bay, wo wir mit einer Runde Bier und Wellenplantschen auf das erfolgreiche Zusammentreffen in der Karibik anstoßen.
Indigo Beach
Ausklang im Lagoonis, Simpson Bay
Am Abend des nächsten Tags setzen wir über zu den British Virgin Islands – ein Sehnsuchtsort. Seglerparadies, Strände, Schnorcheln! Die Überfahrt bietet alles: Nachdem wir bei gemütlichen Bedingungen starten, nimmt der Wind gegen Abend zu, hört fast auf, nimmt dann stark zu inklusive dramatischem, nächtlichem Reffmanöver, nur um dann gänzlich aufzuhören und uns zu 30 sm unter Motor zu zwingen. Während der Fahrt wird musiziert, gegessen, ein Kreuzfahrtschiff befreundet und Jimi ans Seefahrtleben gewöhnt.
Unsere erste Anlaufstelle sollte die östlich gelegene Insel Virgin Gorda sein. Am späten Vormittag ankern wir nach ein paar morgendlichen Powernaps vor Great Harbour und klarieren ein.
Da wir ab hier ein neues Reisekapitel starten, gibt es zum Abschluss von Saint Martin noch eine Anekdote aus Guadeloupe:
Wir befinden uns gerade in Deshaies mitten im Ankermanöver. Parallel zu uns wirft ein weiteres Boot den Anker. Bei genauerer Betrachtung besteht die Crew aus nur einem Mann, der splitterfasernackt zwischen Bug und Ruderstand hin und her hopst, um sein Manöver zu vollführen. Der Wind dreht und das Boot präsentiert uns sein Heck, auf dem in großen Lettern der Bootsname zu lesen ist: Full Moon. Direkt darüber am Steuer der full moon ihres Kapitäns.
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Venteux, windy, winderig
Saint Martin ist kompliziert. Die kleine Insel ist zweigeteilt in den französischen Teil Saint Martin und den holländischen Teil Sint Maarten. Der holländische Teil ist aber nicht wirklich holländisch, sondern ein autonomes Land des Königreichs Niederlande. Logo. Verschiedene Amtssprachen, Währungen und Gesetze auf einer Fläche die kleiner ist als Linz – immerhin die gleiche Zeitzone.
Nach einer super Überfahrt erreichen wir also den französischen Teil dieser seltsamen Insel. Die Anse Marcel bietet neben zahlreichen Schildköten in trübem Wasser einen ungemütlich schaukelnden Liegeplatz, was sich in weiterer Folge als das kennzeichnende Merkmal dieser Insel herausstellen sollte.
Am nächsten Morgen beziehen wir früh unseren reservierten Liegeplatz in der angrenzenden Marina – unser erster Hafen seit etwas über einem Monat. Während der Einfahrt stoßen wir wohl mit einer Schildköte zusammen. Eine heftige Erschütterung im Rumpf, aber keine sichtbaren Schäden. Hier haben wir nun zwei Tage Zeit zum Putzen, Aufräumen und Erledigen von kleinen Arbeiten bevor unsere zweiten karibischen Gäste Johanna & Michi landen. Nach einem fleißigen Tag rösten wir gerade Zwiebel an fürs Abendessen als Michi anruft: Wir sind jetzt da, bitte abholen! Wiiiiiiiiiee…? Nach 20 Minuten der Verwirrung dürfen wir also aufgrund eines kleinen Datumsverdrehers unsere ersten Überraschungsgäste auf der Mêlée begrüßen. Recht sauber ist es schon, Essen gibts auch genug, rasch ein Begrüßungsrumpunsch gemischt – willkommen an Bord! Zum Glück sind wir schon im richtigen Hafen im richtigen Land. Den Bonustag und auch noch den nächsten halben Tag nutzen wir, um unser marodes Steuerrad neu zu beziehen. *bling*
Anse Marcel
Nach einem gemütlichen Tag in der Marina folgt die letzte ruhige Nacht für eine Weile. Die folgende Woche ist geprägt durch Wind, Schwell, Wind, Wind und die vergebliche Suche nach Schutz.
Erstes Ziel mit neuer Crew ist die nur 3 sm entfernte Nachbarinsel Anguilla. Anguilla ist auch komisch. Um irgendwo vor Anguilla ankern zu dürfen ist eine Lizenz erforderlich- so weit, so normal. Ankern über Nacht ist allerdings ausschließlich in zwei definierten Buchten erlaubt…
Nach einer wilden, aber spaßigen Überfahrt ankern wir in der nördlich gelegenen Road Bay – Wind und Geschaukel. Auch die beiden Ausflugsziele Pidgeon Island und Sandy Island, die wir am nächsten Tag besuchen, bieten eben dies. Zudem Strandbars, die aber geschlossen sind, beeindruckend schöne, aber scharfkantige Muscheln, türkisblaues, aber trübes Wasser und einen beinahe außer Kontrolle geratenen Anlandungsversuch in der Brandung mit dem Dinghi. Es folgt eine weitere windige und schaukelige Nacht in der Road Bay. Beim Ausklarieren am nächsten Tag trifft Bernhard die Kellnerin der Cocktailbar von letzter Nacht wieder – heute ist sie nämlich im Dienst als customs officer. Wir segeln auf der Suche nach einer windgeschützten Bucht zurück nach Saint Martin. Immerhin ist der Wind noch gut segelbar und wir freuen uns über eine sportliche Am-Wind-Fahrt nach Süden.
Anguilla
Auch die Bucht vor der Hauptstadt der französischen Inselhälfte Marigot bietet keinen Schutz vor Wind und Welle. An unserer Boje ist es sogar noch ungemütlicher als ankernd, zudem werden unsere Festmacherleinen schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dann verbringen wir eben mehr Zeit an Land, denn die Stadt ist es wert. Marigot ist belebt, attraktiv und leistbar. Für uns der lebenswerteste Ort, den wir in der Karibik besucht haben. Wir strandeln, besteigen das Fort Louis und essen hervorragenden Fisch.
Marigot
Zwei Tage später hat der Wind immer noch nicht nachgelassen und wir machen jetzt ernst mit unserer Suche nach Schutz. Ganz im Westen von Saint Martin befindet sich eine riesige halb französische und halb holländische Lagune, die Simpson Bay Lagoon. Wir fahren von Süden in die Bucht und klarieren zum ersten Mal in den niederländischen Antillen ein. Ankernd zwischen motorisierten Megayachten und Luxussegelschiffen werden wir aber noch immer von 25 kn angeblasen, obwohl ganz Saint Martin zwischen uns und der Windrichtung liegt. Immerhin schafft es die Welle nicht herein. Bei nur noch wenig Geschaukel verkrümeln wir uns unter Deck und zelebrieren einen windgeschützten Taco- und Spieleabend.
Kurzfristig organisiert Bernhard für die nächsten zwei Nächte einen Liegeplatz in der Simpson Bay Marina, um den anstehenden, selten gewordenen Crewwechsel möglichst einfach zu gestalten. Beim Anlegen dürfen wir mal wieder Zeugen eines Hafenkinos werden diesmal sind wir aber mittendrin und irgendwie doch völlig unbeteiligt. Nachdem uns Bernhard unter windigen Bedingungen gekonnt in die Parklücke schiebt empfangen uns am Steg drei Marineros, die jeweils zwei konträre Pläne verfolgen wie genau das Boot zu vertäuen sei. 45 Minuten später und unter Einbezug eines Dinghis und dreier Nachbarboote dürfen wir die letzte Leine fixieren. Für uns gibts zwischendurch nicht viel zu tun außer das Geschehen interessiert und mit viel Kopfkratzen zu beobachten. Wir beobachten zum Beispiel den Versuch, den Bug des Nachbarboots mit Hilfe des Dinghis in Windrichtung zu schieben, diesen dann nicht zu fixieren, gefolgt von verwunderten Blicken der Marineros, warum das Boot sich wieder zurückbewegt und dann den selben Versuch nochmal – immer und immer wieder. Als schließlich der letzte Marinero in seinem Golfwagen abbraust legen wir unsere Leinen nochmal neu. Das war interessant. Daraufhin ein Manöverschluck – sogar bereits mit einem neuen Crewmitglied…
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Antigua – Urlaub bei Reich und Schön
Wir verlassen Guadeloupe also wetterbedingt spontan zwei Tage früher als geplant. Für die Etappe nach Saint Martin, wo wir endlich wieder Gäste auf unserer Mêlée begrüßen dürfen, haben wir die Wahl:
– die westliche und direktere Route über Montserrat und St. Kitts & Nevis
– oder die nördliche Route über Antigua & Barbuda (nicht zu verwechseln mit Barbados, Bahamas oder Bermuda)
Unter anderem deshalb, weil auf Montserrat ein aktiver Vulkan steht (wir sehen ihn von weitem dampfen) und große Teile der Küste nicht befahrbar sind, entscheiden wir uns für das buchtenreiche Antigua.
50 Seemeilen nördlich von Guadeloupe erreichen wir in finsterer Nacht das Ankerfeld vor Jolly Harbour an Antiguas Westküste. Die Ansteuerung ist dank zahlreicher beleuchteter Tonnen einfach, der Anker hält, der Wind lässt nach. Als Belohnung verschmausen wir noch frisch zubereitete Cheeseburger mit Coleslaw – Mitternachtssnack.
Einmal Ausschlafen, dann geht es zum Einklarieren, was wie auf allen nichtfranzösischen Inseln eher aufwendig ist. Der Weg führt nacheinander zu Anmeldung, Port Health, Customs, Immigration, nochmal Customs, Port Authority und schließlich zur Kassa. Jede der genannten Stellen ist ein eigenes Büro, aber immerhin liegen alle direkt nebeneinander. Da recht wenig los ist, dauert der Prozess insgesamt nur eine Stunde. Einige East Carribean Dollar ärmer und ein paar Stempel im Reisepass reicher sind wir clear to go. Zum Vergleich: Auf den französischen Inseln Martinique und Guadeloupe haben wir jeweils null bis drei Euro gezahlt, haben 5 Minuten Daten in den Customs-Computer eingetippt und waren damit fertig einklariert. Beim ersten Mal hat mich zwar die französische Tastatur noch ins Schwitzen gebracht, doch inzwischen habe ich damit schon Routine.
Wir erleben Antigua als Urlaubsinsel der Reichen und Schönen. Zahlreiche Buchten sind von hübschen, unaufdringlichen Luxusresorts eingenommen, von weißem Sandstrand und Palmen geziert, gepflegt und sauber. Wir recherchieren: In den Hotels, vor denen wir geankert haben, kostet eine Nacht zwischen 800 und 2.000 €. Naja, für uns wars gratis, und bei dem freien Wifi haben wir auch mitgenascht.
Carlisle Bay
Die zweite Nacht verbringen wir in Falmouth Harbour, einer großen, geschützten Bucht im Süden der Insel mit mehreren Megayacht-Marinas. Wir ankern, düsen mit dem Dinghi an Land und finden einerseits eine recht günstige Cocktailbar, andererseits eine authentische sardinische Holzofenpizzeria, wo wir uns für eher teures Geld zwei Pizzas mit aufs Boot nehmen. Bezahlt wird beim zigarrenrauchenden Besitzer Giovanni persönlich.
Südküste: Falmouth & English Harbour
Der Wind dreht für ein paar Tage nach Norden und verpatzt uns damit den Plan eines Abstechers nach Barbuda. Ziel dort wäre der famose zartrosa Sandstrand vor dem Privatanwesen, inklusive kleinem Flughafen, von Robert De Niro gewesen. Stattdessen fahren wir wieder zurück nach Jolly Harbour zum Tanken, Wasser füllen und Ausklarieren – natürlich wieder mit allen bürokratischen Instanzen.
Jolly Harbour
Wir verbringen noch eine Nacht in der sehr seichten Deep Bay. Seit über hundert Jahren liegt hier das Wrack eines ausgebrannten Frachtschiffs, das ich schnorchelnd aufgrund der schlechten Sicht aber nur in Grundzügen erkennen kann. Die Bucht soll uns als Ausgangsort für die 90 Seemeilen-Passage nach Saint Martin dienen. Unsere erste richtige Nachtfahrt in diesem Jahr bietet 13 Stunden stressfreies und flottes Halbwindsegeln, mit freundlicher Unterstützung unseres Autopiloten. Im Morgengrauen tauchen am Horizont die Lichter von Saint Martin auf…
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Soufflé & Bouillone
Von Basse Terre aus, der Hauptstadt Guadeloupes, wollen wir die Insel erkunden. Diesmal auf eigene Faust mit Mietwagen. Zum Glück sind wir in Frankreich und leihen einen himmelblauen Renault Twingo – etwas untermotorisiert in Anbetracht der Serpentinen mit bis zu 18 % Steigung, die uns bevorstehen.
Basse Terre
Aber keine Mietautos am Sonntag – und so begehen wir an unserem ersten Tag hier die Stadt und das überraschend sehenswerte Fort Delgrès. Wir als historisch nicht so arg Interessierte sind begeistert vom Ausblick und dem gepflegten grünen Rasen. So europäisch wie hier mitten im Fort hat es bisher in der Karibik noch nirgends ausgesehen (Stichwort Heimatmuseum Groß Schweinbarth).
Fort Delgrès
Am nächsten Tag schlängeln wir uns dann aber motorisiert die Serpentinen nach oben, um den Vulkan La Soufrière (liebevoll auch Soufflé) zu bestaunen. Der Weg zum eigentlichen Vulkankrater ist leider wegen Sturmschäden gesperrt. Dann gibts noch den imposanten Lac Flammarion, einen dampfenden See. Der Weg zum See ist komplett nebelverhangen. Zu Sehen gibts für uns nix, dafür mit Sturm, Nebel und Kälte ein kleines bisschen Heimatgefühle. Am Fuße des Soufflé wurde allerdings für Besucher eine heiße Quelle hergerichtet – genau das richtige nach so einem Schitag. Also plantschen wir ein wenig in dem nach verdorbenen Eiern stinkenden und mit gehirnfressenden Amöben verseuchten Wasser und wärmen uns auf.
Soufflé
Die zweite Station des Tages ist ein Zoo. Sehr nett gestaltet mit Hängebrücken und mitten in den Dschungel integriert liegt der Parque des Mammales. Vorbei an Papageien, Affen und Ewoks (da bin ich doch ziemlich sicher), mitten durch das Lemurengehege und über einen Hängebrückenpark – so verbringen wir ein paar gemütliche Stunden mit regenwaldtypischen Schauern alle paar Minuten.
Parque des Mammales
In der letzte Station des Tages, dem Wasserfall Cascade aux écrevisses nimmt Bernhard ein weiteres Bad – diesmal aber weniger stinkend und eher belebend.
Cascade aux écrevisses
Nach drei Tagen ankernd vor Basse Terre nehmen wir unseren üblichen Tagesrythmus wieder auf – Richtung Norden fahren, ankern, chillen, Richtung Norden fahren, ankern, chillen. Die beiden nächsten Ankerplätze bieten jedoch Highlights:
In Bouillante ist der Name Programm. Eine heiße Schwefelquelle mündet hier ins Meer und mit zahllosen anderen Warmbadern entspannen wir uns im bis zu 40°C heißen Wasser. Obwohl wir bei den üblichen 27°C warmes Wasser gewöhnt sind, hat diese Temperatur doch eine nachhaltig tiefenentspannende Wirkung. Wie Therme, nur gratis und ohne Fußpilz. Dafür wieder schwefeliger Eiergestank.
Pidgeon Island, zwei kleine Felshaufen, denen gegenüber wir ankern bietet das unglaublichste Schnorchelerlerlebnis, das wir bisher bestaunen durften. Keine seltenen Tiere, keine neuen Fische, aber alles an Unterwasserwelt was wir bisher gesehen haben mal 100. Gigantische Schwärme verschiedener Fische, die allesamt um uns herumwuseln gemischt mit Einzelgängern, die sich aus nächster Nähe betrachten lassen und fast schon frech um einen herumschwimmen.
Pigeon Island
Der letzte Stop auf Guadeloupe ist für uns Deshaies, eine hübsche Bucht, die über und über voll ist mit Segelbooten. Dass wir hier eher unabsichtlich keine Fotos gemacht haben ist nicht weiter schlimm, denn die Bucht ist zu sehen in den elf Staffeln der Serie Death in Paradise.
Wir wollen dann eigentlich noch in das Riff im Norden der Insel und einen kurzen Abstecher auf die andere Insel Grand Terre machen. Wind und Welle verhindern dies jedoch und da wir bereits ausklariert haben, planen wir kurzerhand um und düsen Richtung Antigua, wo wir nach 13 Stunden Am Wind Segeln nachts die Westküste erreichen.
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Weiche Popos und Lungenflügel
Noch beeinträchtigt vom Rumpunsch des Vortags lassen wir Dominika in unserem Kielwasser und motoren bei vollkommener Flaute gen Norden. Spiegelglattes Wasser und eine 0,0 auf der Windanzeige – ein Anblick der sich erstmals seit dem Mittelmeer darbietet. Unser Tagesziel sind die Îlets de Saintes, eine kleine Inselgruppe, die dem französischen Guadeloupe vorgelagert ist. Wir ankern vor dem Hafen und können bei Dosennudeln einen wunderbaren Sonnenuntergang genießen. Zum Glück haben wir immer einen ganzen Haufen Notfallfutter mit dabei – vorrangig für schwierige Überfahrten, nützlich aber auch bei Kater und fehlendem Lieferando.
Den nächsten Morgen verbringen wir an Land des kleinen, touristischen Ortes Terre de Haut bei einem petit dejeuner mit Galettes und Expresso. Nach Proviantieren, Strandeln und Einklarieren verlassen wir unseren Ankerplatz, um eine der anderen Saints-Inseln aufzusuchen und in unserer auserkoren Bucht dürfen wir ein Hafenkinospektakel der Extraklasse bestaunen.
Îlets de Saintes
Zunächst das Phänomen Hafenkino: Wenn jemand auf einem Boot sich ungeschickt oder unseemännisch anstellt sind die Crews aller umliegenden Boote angehalten das Szenario schamlos zu beobachten und halblaut zu kommentieren. Ein echtes Hafenkino ist es aber meiner Meinung nach nur, wenn die Crew im Mittelpunkt des Geschehens lautstark herumbrüllt. Da ich mittlerweile selbst schon an vielen dummen Situationen beteiligt war oder zumindest Verständnis für viele Lagen habe, hat das Hafenkino etwas an Reiz verloren. Die zwei Katamarane, um die es hier gehen soll, sind aber eine Liga für sich.
Als wir in die Bucht einfahren, liegen sie ankernd am Päckchen. Wir sind noch auf der Suche nach einem passenden Platz, als sie den Anker aufholen und scheinbar vergessen, dass sie noch miteinander vertäut sind. Unter lautem Knacken und Krachen stoßen die Hecks der Katamarane zusammen und die Crews lösen erst dann die verbliebene Leine. Sie fahren weiter in die Bucht und einer der Katamarane versucht dann erneut zu ankern, diesmal Bug an Bug mit einem bis dahin unbeteiligten Boot. Der Anker hält nicht, sie holen ihn wieder auf und ziehen, wenig überraschend, den Anker des armen Unbeteiligten nach oben. Alle an Bord des Kats versuchen kopfkratzend und stilecht mit Zigarre im Mund ihren Anker wieder von der fremden Kette zu befreien. Wo kam die denn her!? Die Katamarane ankern daraufhin, wieder am Päckchen, deutlich weiter außen in der Bucht und wir beobachten die Leidtragenden, wie sie noch eine halbe Stunde später keinen gut haltenden Ankerplatz mehr mehr finden. Unterdessen ankern wir uns in die beste Position in der Bucht uns fragen uns wie wir es geschafft haben, nicht Teil dieses Chaos zu werden.
Nun aber weiter nach Guadeloupe. Die Insel besteht aus zwei Hauptinseln, der kleineren Grand Terre (ja, tatsächlich) und der größeren Basse Terre, die zueinander angeordnet sind wie zwei Lungenflügel (sie selbst nennen es Schmetterling). Unser Plan sieht vor von Süden ins Brustbein, also in die Mitte der beiden Inseln zu fahren und dann entlang der Westküste nach Norden zu segeln.
Am nächsten Morgen erreichen wir nach 5 Stunden wunderbaren Segelns, inklusive einer hierorts sehr selten gebrauchten Wende und Navigation durchs Riff, Point à Pitre, die größte Stadt der Insel. Effiziente Segeltage mit einer kleinen Herausforderung machen immer noch mehr Spaß als alles andere! Von unserer ziemlich privaten Bucht aus, die vom Nachbarboot mittels Rottweiler beschützt wird, besuchen wir die Stadt. Eine herbe Enttäuschung. Alles, alles hat geschlossen um 16 Uhr, menschenleer und abgeranzt. Wir holen uns ein Eis und sind raus hier. Am nächsten Tag wird in der Stadt demonstriert, vielleicht hängt es ja damit zusammen.
Point à Pitre
Vorbei am imposanten Museum für Sklaverei und Sklavenhandel fahren wir nur ein kleines Stück Richtung Süden, wo wir eine Nacht an der Boje gegenüber der Marina verbringen. Die Marina bietet ein ganz anderes Bild. Ein eigenes schnuckeliges Dorf mit Shops und Restaurants.
Eine weitere Minietappe führt uns raus aus dem Riff vor die winzige, unbewohnte Insel Gosier – ein besonders idyllischer Sandhaufen mit Leuchtturm. Am späten Nachmittag ziehen hier die Landtouristen ab und Segelcrews machen es sich mit Sechsertragerl gemütlich. Wir spazieren die Insel einmal auf und ab, erklimmen den Leuchtturm, sammeln hübsche Korallen und entdecken unsere Zuneigung zu Einsiedlerkrebsen.
Îlet du Gosier
Diese niedlichen Miniversionen von Davy Jones müssen sich verlassene Schneckenhäuser oder Muschelschalen suchen um ihre verwundbar weichen Popos zu schützen. Zwei ihrer fünf Beinpaare sind speziell dazu ausgebildet ihre Behausung festzuhalten. Eine bestimmt Art von Einsiedlerkrebsen bildet Kollektive aus bis zu 20 Tieren, die dann wie auf einem Basar reihum ihr zu klein gewordenes Haus gegen ein größeres tauschen. Was für soziale und possierliche Krabbelviecher.
Am nächsten Morgen brechen wir bei recht viel Wind und Welle auf Richtung Westküste. Unser erstes Ziel ist die Hauptstadt Basse Terre.
Îlets de Saintes
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Dominiiica!
Dominica hat mit der Dominikanischen Republik so viel gemeinsam wie Österreich mit Kängurus. Deshalb ist den Einwohnern die richtige Aussprache bzw. Betonung wichtig, nämlich wie in der Überschrift. Die Insel liegt zwischen den französischen Karibikinseln Guadeloupe im Norden und Martinique im Süden, ist ein eigenes Land und gehört dem Commonwealth of Nations an. Sie wird von Seglern gerne ausgelassen, da die nautische Infrastruktur im Vergleich zu den Nachbarinseln praktisch nicht vorhanden ist. Genau genommen gibt es nicht einen einzigen für die Freizeitschifffahrt geeigneten Hafen im ganzen Land. Trotzdem (oder gerade deswegen?) haben wir uns entschieden, die relativ unberührte und wenig besuchte Insel näher zu erkunden.
Das Land ist, wie die meisten der eigenständigen karibischen Inseln, eher arm, hat eine hohe Arbeitslosigkeit und lebt hauptsächlich von Landwirtschaft und Tourismus. Es gibt (noch) keinen großen Flughafen, der von internationalen Airlines genutzt wird. In der Hauptstadt Roseau können immerhin zwei Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig andocken – wir haben während unseres Aufenthaltes drei Exemplare an- und ablegen gesehen. Wie sehr die Insel versucht, für Segeltouristen wie uns attraktiv zu erscheinen, erkennt man auch an der Tatsache (nicht verifiziert), dass auf den Diebstahl eines Jacht-Beiboots 9 Jahre Gefängnis stehen. Das ist viermal so lange wie für Diebstahl eines lokalen Fischerbootes. Hurricanes sind in der Sommerzeit leider keine Seltenheit – sie verwüsten alle paar Jahre die Küstenstädte, zuletzt Maria im Jahr 2017. Wir hören Geschichten von Häusern, Hotels und Stegen, die regelmäßig zerstört und neu gebaut werden müssen und von Einheimischen, die das als Teil ihres Lebens akzeptieren.
Erster Blick auf Dominica
Dominica beeindruckt uns schon aus der Ferne durch surreal leuchtendes Grün, denn drei Viertel der Fläche sind von Regenwald bedeckt. Wir schnappen uns als erste Anlaufstation eine Boje in einer unschmucken Bucht in der Nähe von Roseau, wo wir zwei Nächte verbringen. Der Fußweg in die Stadt zum Einklarieren ist anstrengend, der Verkehr schnell, laut und links, die Straße schlecht und fußgängerfeindlich. Da das einzige Bootsfachgeschäft schon geschlossen hat, kaufen wir am Straßenrand eine billige Touristen-Dominica-Flagge und setzen sie als Gastlandflagge. Für nur vier Tage Aufenthalt eigentlich die perfekte Lösung.
Erstmals seit wir in der Karibik unterwegs sind, sehen wir mehr von einem Land als die unmittelbare Küstenregion. Und zwar in einer sechsstündigen Tour gemeinsam mit Guide Dr. Jones und Jim & Marianne vom knallorangenen kalifornischen Katamaran Alani. Dr. Jones bringt uns in seinem Kleinbus zunächst zu den Middleham Falls. Der Besuch des Wasserfalls erfordert eine einstündige, matschige und ausgesprochen anspruchsvolle Wanderung über Stock und Stein und den ein oder anderen Fluss durch den Regenwald. Der Weg ist das eigentliche Highlight – Wasserfälle kennen wir schon, Regenwald ist für uns neu. Pia hat Tage später noch Muskelkater.
Middleham Falls
Zweites Ziel unseres Ausflugs ist Titou Gorge, ein kleiner Wasserfall am Ende einer Regenwaldschlucht, der nur schwimmend erreicht werden kann. Zur Abwechslung steigen wir also in frisches Süßwasser und erschwimmen den kurzen Fluss entlang der beeindruckenden Felswände. Einer von 365 Flüssen der Insel – einer für jeden Tag des Jahres. Nachdem vor uns eine wasserscheue Gruppe mit ihrem panischen Guide endlich das Feld räumt, plantschen wir unter dem Wasserfall und lassen uns anschließend mit der Strömung wieder hinaustreiben. Die Schlucht ist ein Drehort von Fluch der Karibik 2 – da wo sie in den Käfigen runterfallen und dann im Wasser landen. Orlando Bloom ist hier geschwommen!
Titou Gorge
Beim späten Mittagessen unterhalten wir uns mit Jim & Marianne, die beide Zahnärzte sind und seit Jahren im Monatswechsel arbeiten und die Karibik besegeln. Netter Lifestyle. Sie versorgen uns mit persönlichen Empfehlungen und etwas Lektüre zu den Virgin Islands, die für Februar & März auf unserer Liste stehen. Tagesziel 3, die Trafalgar Falls, erfordern zum Glück für unsere Oberschenkel nur einen kurzen Fußweg. Wir dürfen sie mit Regenbogen bestaunen.
Trafalgar Falls
Nach zwei Nächten im Süden begeben wir uns in den Norden der Insel, wo wir in Portsmouth noch einmal zwei Nächte an der Boje in einer viel hübscheren Bucht mit zahllosen anderen Segelbooten verbringen. Boatboy Avin, seines Zeichens auch zertifizierter Island Tour Guide, empfängt uns herzlich und wir arrangieren eine Tour auf dem Indian River für den Folgetag. Die Flussmündung ist nur wenige Minuten von unserer Boje entfernt. In Avins Holzboot erkunden wir im strömenden Regen einen anderen Drehort aus Fluch der Karibik 2, nämlich Calypsos Hütte mitten im Sumpf. Nicht nur als Fans der Filmreihe sind wir beeindruckt. Johnny Depp ist hier Boot geschwommen! Bei einer anschließenden kurzen Wanderung durch die Mangroven bekommen wir noch ein paar Sonnenstrahlen ab.
Indian River
An unserem Abschlussabend auf Dominica nehmen wir an der berühmten sonntäglichen Strandgrillerei teil, die von den Verwaltern des Bojenfelds organisiert wird. Mit gegrilltem Huhn und all-you-can-drink-Rumpunsch lassen wir es uns gutgehen. Von letzterem haben wir uns allerdings zwei Tage später noch nicht erholt. Wir treffen die ARC-Teilnehmer Antonia und Joaquin, ein chilenisches Paar, das mit ihrem Flughörnchen Clara an Bord ihres Segelboots Tokerau reist. Wie bitte? Ja – wir können später auf deren Boot selbst miterleben, wie das handtellergroße, zahme, aber sehr flinke Tier mit den riesigen Augen beinahe ausbüxt, eine Runde um das Boot schwimmt, von Antonia wieder eingefangen wird und zur Strafe den Rest des Abends in seinem Käfig verbringen muss.
Danke Dominica, morgen geht es wieder zurück in französische Gewässer. Guadeloupe im Norden und seine vorgelagerten Inseln warten schon auf uns.