Zurück nach Europa

Die Überfahrt von Bermuda auf die Azoreninsel Faial sollte am Ende 18 Tage und 16 Stunden dauern. Damit war sie für uns, obwohl 400 sm kürzer, sogar länger als die erste Atlantiküberquerung von den Kap Verden nach Grenada im November. Unsere gesamte Odyssee haben wir diesmal in einem langen Beitrag mit viel Gesuder zusammengefasst. In Teil 1 eine retrospektive Betrachtung, in Teil 2 ein tägliches Logbuch mit Emotionen frisch vom Schiff.

Rückblick

Logbuch

Rückblick

Schichtwechsel in 15 Minuten! Schiiiichtwechsel in 15 Minuuuten! schallt es vom Niedergang herab in den Salon. Als Antwort kommt ein schläfriges Grunzen. Diese Methode des Aufweckens hat sich als verlässlich herausgestellt, um pünktlich abgelöst zu werden. Es ist 03:00 Uhr, ein eisiger Wind weht, es schüttet, das Cockpit ist nass und salzig. Seit Tagen trocknet das Ölzeug nicht mehr komplett durch, was bedeutet, die Nachtschichten beginnen damit, dass man sich in kühles, feuchtes Gewand zwängt. So oder so ähnlich kämpfen wir uns durch große Teile dieser Passage.

Aber zurück zum Anfang: Wir sehen dem zweiten Startversuch nach den technischen Problemen im ersten Anlauf aus mehreren Gründen entspannter entgegen. Zum einen haben wir keinen Stress mehr, rechtzeitig zur ARC-Deadline auf den Azoren anzukommen. Das kann sich jetzt, dank vier Tagen Verspätung, gar nicht mehr ausgehen. Der Stress eines Massenstarts fällt diesmal auch weg, und am Vorabend haben wir es im Rekordtempo geschafft, die neuen Steuerseile fertig zu installieren und Mêlée wieder fahrtüchtig zu machen. Und nicht zuletzt scheint es diesmal ein besseres Wetterfenster für uns zu geben. 

Wie wir inzwischen aber wissen, gibt es im Vergleich zur Ost-West-Richtung kein perfektes Wetter. Ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen zieht über den Atlantik Richtung Osten, hunderte Seemeilen lange Fronten vor sich herschiebend. Eine passierende Front bedeutet immer schlechtes Wetter: Böigen, stürmischen Wind, Regen, Gewitter, Squalls. Ein Vermeiden ist meist nicht möglich, man kann nur versuchen, diese gut vorbereitet und möglichst kontrolliert über sich ergehen zu lassen und im besten Fall die Ausläufer zu nutzen, um schneller voranzukommen. Und dann gibt es noch das berühmte Azorenhoch, das im krassen Gegensatz dazu für tagelange Flaute sorgen und somit die Dieselvorräte gefährden kann.

Und wie haben wir das Wetter dann wirklich auf der Überfahrt erlebt? Einige Stunden zwischendurch sind die Bedingungen sonnig und angenehm, meistens fühlt es sich aber an wie der viel zitierte härteste Job Alaskas, mit durchdringender Kälte, Nässe und heulenden Winden. Wir rufen zweimal täglich Wetterupdates per Satellitentelefon ab, setzen jeweils vor dem erwarteten Aufrücken eines Tiefs, oder dem Durchzug einer Front die Sturmfock, ansonsten sind wir meist mit stark gereffter Genua und Großsegel unterwegs. In den seltenen schwachwindigen Stunden brauchen wir insgesamt 100 l Diesel – ein klassisches Azorenhoch erleben wir aber nicht. Die Nächte teilen wir ob der kalten und nassen Bedingungen in vier 2,5 h-Schichten auf.

Atlantikwetter: Grau in grau, grau mit Regen oder Regen mit Gewitter

Bei der Rationierung und Proviantierung haben wir gut kalkuliert. Bis zum Schluss – auch bei widrigen Bedingungen – gibt es täglich eine warme, frisch gekochte Mittagsmahlzeit, z.B. Milchreis, Chili, Risotto, deftiges Chorizo-Gröstl oder Mac’n‘Cheese. Das frische Gemüse reicht etwa für die Hälfte der Zeit, danach geht es an die Erdäpfel, den Kohl und an das buchstäbliche Eingemachte. Nach dem Aufessen der in Bermuda gekauften Brote backen wir drei frische Brote, die unterschiedlich gut gelingen. Kaffee kochen ist eine Höchstleistung, funktioniert aber meistens, wenn nicht gerade einer Salzwasser zum Kaffeekochen verwendet. Das funktioniert zwar auch, schmeckt aber nicht so gut. Trink- und Nutzwasser haben wir mehr als ausreichend, obwohl der Druckschalter der Wasserpumpe nach einer Woche erneut den Geist aufgibt und wir ab dann einen umständlicheren Frischwasserzugang haben. Abgesehen vom genannten Druckschalter und eines durchkorrodierten Solarpanelkabels – beides provisorisch reparabel – erleiden wir glücklicherweise keine gravierenden Schäden, insbesondere das frisch gewartete Steuersystem und der Autopilot machen einen fantastischen Job.

Hauptbeschäftigungen: Schlafen, essen & reparieren

Auf der Überfahrt besuchen und begleiten uns sieben Mal Delfine, kleine und größere Schulen, und wir sehen zwei Wale in der Ferne, inklusive zweier Sprünge. Erstaunlich für uns sind die abertausenden Quallen – Portugiesische Galeeren – die über die gesamte Strecke neben uns vorbeitreiben. Mit ihren bis zu 50 m langen Tentakeln werden sie auch floating terror genannt. Uns attackieren sie jedenfalls nicht, aber manche von den plastiksackerlartigen, blass-lila Gruselwesen kippen dramatisch um und stellen sich wieder auf, wenn wir knapp an ihnen vorbeifahren. Naja, schwimmen reizt uns bei den Temperaturen sowieso nicht. Was uns auch wieder überrascht, sind die Vögel, die uns täglich umkreisen, obwohl das nächste Land 1.000 sm entfernt ist.

Meeresbewohner der Hochsee

Am Abend von Tag 18, dem 8. Juni 2023 heißt es endlich Land in Sicht! als wir die Azoreninseln Faial und Pico vor uns aufragen sehen. Noch ein paar Meilen um das Kap herum, ab an den Zollsteg von Horta, und dann – im Sonnenaufgang – haben wir es geschafft! Hin und wieder zurück: Wir haben zwei Mal innerhalb eines Jahres zu zweit auf 40 Fuß den Atlantik überquert!

Logbuch

Tag 0

Nach einem Kuchenfrühstück packen wir unsere sieben Sachen, kaufen doch noch zwei Zwiebel und sind praktisch bereit zum Ablegen. Wäre da nicht die Zollbehörde. Bei unseren ersten drei Kontakten mit Customs & Immigration wurden wir sehr gut behandelt und zügig abgefertigt. Heute sehen wir bereits in der Früh eine Warteschlange, in der wir ab dem späten Vormittag dann selbst auch 3 Stunden verbringen. Das derzeitige Wetterfenster wollen viele nutzen und mit Vorder- und Hintermännern und -frauen tratschend meistern wir auch noch diese bürokratische Hürde. Am frühen Nachmittag werfen wir erneut die Leinen los.

Ein Schluck für Neptun: Hat er wohl nicht mitbekommen

Tag 1

Bedeckter Himmel, Welle, zügiger Am Wind Kurs. Wir kommen gut voran, die Bedingungen sind stabil, nur kämpfen wir mit Powernaps gegen die aufkommende Seekrankheit, die sich gern mal, in den ersten Tagen einer Passage, bemerkbar macht.

Tag 2

Es bleibt grau in grau, jedoch trocken. Die zweite Nacht bietet regelmäßige Wechsel in Windrichtung und -stärke, alles in allem stimmt der Kurs aber. 

Tag 3

Der Wind wird stärker, die ganze Nacht wird wie erwartet nicht schön. Wasser kommt über, Wellen krachen ohrenbetäubend gegen den Rumpf, alles scheppert und klirrt. Wir wechseln uns stündlich ab, reffen nach und nach, bis nur mehr ein kleiner Fetzen Großsegel uns gemeinsam mit der Sturmfock vorantreibt.

Sturmfock: Wenn es rau wird

Tag 4

Der ganze Spuk endet dann zum Glück früher als erwartet im Laufe des Tages und war mit einem einmaligen Aufblitzen einer 30 auf dem Windmesser auch nicht ganz so schlimm, wie vorhergesagt. Der Tag wird immer gemütlicher und wir platzieren Kleidung und Füße in den sehr vereinzelten Sonnenstrahlen zum Trocknen. 

Tag 5 – ¼ der Wegstrecke

Bei moderaten Bedingungen bemerken wir, dass unsere Solarpaneele keinen Strom mehr liefern. Der Fehler – eine gebrochene Kabelverbindung – ist rasch gefunden und behoben. Wir haben wieder Energie! Auch dank einer ruhigen Nacht und köstlichen Zucchiniburgern.

Tag 6

Der Wind dreht und bringt uns einen Raumwindkurs, später sogar einen Vorwindkurs, den wir mit Schmetterlingsbesegelung fahren. Schaukel, schaukel, schaukel, so kennen wir unsere Atlantikpassagen. Dafür sind wir flott unterwegs. Wir kämpfen mit dem Empfang von Wetterdaten. Eine unserer Lieblingsmeldungen: Failed to connect to network. Done.

Tag 7

In der Nacht erwischt uns ein Squall. Knappe 2 Stunden Platzregen und 25 kn bescheren einer von uns eine richtig ungemütliche Nachtschicht, während der andere gut schläft. Der Tag bietet uns grönländischen Nordwind.

Tag 8

Seefahrer fürchten den Sturm, mehr jedoch die Flaute – Käpt’n Blaubär. Nach einer langsamen, nur teils segelbaren Nacht folgt ein Tag gänzlich ohne Wind und wir genießen die relativ ruhige See. Zur Flautenfeier (man muss die Feste feiern wie sie fallen) gibts einen Riesentopf Chili und das erste selbstgebackene und ganz gut gelungene Brot dieser Überfahrt. 

Und endlich, endlich begrüßen wir erstmals Hochseedelfine! Eine riesige Schule begleitet uns zum Sonnenuntergang fast genau zwischen Bermuda und den Azoren. 

Tag 9 – ½ der Wegstrecke

Man plant und plant und dann kommt alles anders. Unausweichlich überrascht uns eine Front in den frühen Morgenstunden. Vor der ersten 30 auf der Windanzeige können wir noch die Sturmfock setzen und schon hüpfen wir Am Wind durch die Wellen und werden von See und Himmel nass gespritzt. In der Frage um Sturm oder Flaute: Flaute. Wir mögen lieber Flaute. 

Tag 10

Spaß macht das keinen. 

Tag 11

Ein Tag Leichtwindsegeln und Socken trocknen in der Sonne belebt die Gemüter. Zudem bekommen wir wieder erfreulichen Besuch von einer Delfinschule! Leider war das in den letzten Monaten immer ein Omen für eine stürmische Nacht. Wir werden sehen.

Trocknen

Tag 12

Es folgt eine stürmische Nacht, die in einen stürmischen Tag übergeht. Eine graue, ruppige See, die für uns eher wie das Polarmeer im Jänner aussieht als der Atlantik im Juni mit bis zu 39 kn Wind. Mittags gibts ein wärmendes Erdäpfelsüppchen im Nieselregen. 

Und wie wir so durch das graue, regengepeitschte Wasser segeln und uns fragen was Neptun noch für uns parat hält, zieht ein Gewitter auf. Die Blitze verfehlen uns und läuten fast schon das Ende dieses Horrortags ein. Ein Winddreher – und das selbe Gewitter erwischt uns zur Krönung nochmal. Dann folgt eine ruhige Nacht, in der wir im feuchten Ölzeug vor uns hinfrieren. 

Suppe wärmt Finger und Seele

Tag 13 – ¾ der Wegstrecke

Ein fast sonniger Morgen wird zu einer regenverhangenen Flaute. Wieder alles grau in grau. Am Nachmittag setzt dann aber wieder ein gut segelbarer Wind ein und wir freuen uns über kleine Dinge, wie trockene Füße, eine warme, 30-sekündige Dusche und Beans & Rice. 

Tag 14 

Bis Mittag können wir Leichtwindsegeln im Sonnenschein – am Nachmittag kämpfen wir uns wieder durch eine Gewitterwand. Delfine, Bringer des Sturms, begleiten uns im Bug. Das Radar, zum Aufspüren und Verfolgen von Squalls, ist im Dauereinsatz. Ein spannendes Phänomen ist, dass wir Blitze am Funk hören können: Melee, Melee, this is Blitz, Blitz. Over.

Tag 15

Ein Winddreher über die nächsten zwei Tage sollte uns auf unserem derzeitigen Am Wind Kurs direkt ans Ziel bringen. Es gilt: Wer fiert, verliert! (sponsored by SwdT)

Eine ruppige Welle von schräg vorn macht jede noch so kleine Handlung zum Work Out. Aber immerhin regnet es nicht. Tatsächlich sehen wir zum ersten Mal während dieser Passage mehr blau als grau. 

Tag 16

Redemption day. Großteils blauer Himmel, wärmende Sonne, moderater Wind. Wir düsen Am Wind auf einem immer besser werdenden Kurs und die letzten Wochen wirken gar nicht mehr so tragisch. Die Vögel, die uns umkreisen werden zahlreicher und langweiliger. Möwen statt Tropikvögel. 

Tag 17

Erst düsen, dann dümpeln wir endlich auf direktem Kurs zum Ziel. Angenehmes Leichtwindsegeln bei Sonnenschein. Zwei Tage Ausgleich für die letzten zwei Wochen – fair enough. 

Finales Leichtwindsegeln

Tag 18

Nach einer gemütlichen, großteils segelbaren Nacht bergen wir am Morgen die Segel endgültig und wechseln für die letzten knapp 100 sm auf die eiserne Genua. Dann sitzen wir unsere letzten Stunden ab. Um 6:30 laufen wir schließlich im Hafen von Horta ein.