Am letzten Sonntag starten wir unsere bisher längste Passage von den Kanaren auf die Kap Verden – eine Inselgruppe, von der wir vor wenigen Jahren noch nicht mal sagen hätten können wo sie liegt. Die Route über die Kap Verden war für uns von Anfang an der Plan – ein wunderbarer Testlauf für die bevorstehende Atlantiküberquerung. Der Passatwind hat sich durch den Klimawandel so verändert, dass die Route über die Kap Verden trotz des vermeintlichen Umwegs für Segler kaum länger ist als die direkte Route von den Kanaren in die Karibik.
Kurzfassung der Regatta:
Mit Musik, Flaggen und winkenden Zusehern werden wir aus der Marina verabschiedet und begeben uns in den Startbereich gleich vor dem Hafen. Der Start der Touristenregatta ARC+ verläuft zäh bei kaum Wind. Einmal über die Startlinie gedümpelt sind wir unter den ersten, die den Motor einschalten. Insbesondere da unsere Segel gegen das neue Rigg schlagen, verzichten wir hier darauf besonders seemännisch zu sein und räumen drei Stunden lang das Feld von hinten auf. Motorstunden werden grundsätzlich dokumentiert und uns am Ende als Malus dazugerechnet. Als Wind einsetzt werden wir, wie erwartet, sukzessive wieder von allen Seiten überholt.





Die gesamten 6 Tage lang sehen wir unsere Stegnachbarn Polly am AIS – einen Tag lang sogar in echt und wir können mit ihnen funkend Neuigkeiten austauschen. Oft sehen wir am AIS auch andere Boot der Regatta – schön in diesem kollektiven Umfeld unterwegs zu sein! Der Zieleinlauf ist dafür eher einsam: Um 3:30 Uhr des siebten Tages überqueren wir im schwachen Mondschein die Ziellinie und legen wenig später an unserem schaukeligen und windigen Liegeplatz in der niedlichen Marina Mindelo auf der Insel São Vicente auf den Kap Verden an.
Unser Hochseeleben im Detail:
Da die Tage auf See ja doch alle weitgehend ähnlich sind, versuchen wir hier mal einen prototypischen Hochseetag zu umreißen:
08:30 Frühstück. Wer von uns beiden gerade unter Deck geschlafen hat bringt Kaffee und Frühstück mit ins Cockpit. Meistens halten wir das Frühstück einfach – ein Dolci, Brot mit Marmelade, Kuchen. Zur Halbzeit kredenzt uns Bernhard ein full english breakfast. Die vielen britischen Teilnehmer der ARC haben uns auf den Geschmack gebracht. Panisch haben wir vor dem Ablegen noch zwei Dosen Heinz baked beans gekauft, nachdem andere Schiffe erzählen, ganze Kästen damit gefüllt haben. Allerdings wurden auf anderen Booten auch Unmengen von Zitronen gehortet (Angst vor Skorbut?). Unsere eine ist noch da. Dem Frühstück folgt oft eine kurze Aufräumrunde (Zeug für die Nachtfahrt weg, Sonnenbrillen her etc.) und gegebenenfalls Änderungen der Segelstellung. In der Nacht nehmen wir es eher in Kauf langsamer zu sein oder einen leicht falschen Kurs zu fahren.

10:00 Erste Entspannungsphase. Nachdem die Überfahrt doch sehr rollend verläuft (Schiff bewegt sich um die Längsachse hin und her) ist jede Bewegung und sinnvolle Tätigkeit recht anstrengend. Wir gönnen uns dann meist ein Päuschen, bei dem wir uns im Cockpit vertäuen und Herr der Ringe-Hörbuch hören (mit Teil I sind wir durch). Zwischendurch bleibt auch immer etwas Zeit, sich um den Ladezustand der Batterien Sorgen zu machen. Bei der Fahrt Richtung Süden kriegen die Solarpanele nur am Vormittag richtig viel Sonne ab.


11:30 Irgendwann gegen Mittag kochen wir uns etwas zu Essen und verspeisen dann unsere größte Mahlzeit des Tages gemeinsam im Cockpit. Wir hatten unter anderem Hot Dogs, Chorizo-Mangold-Pasta, Erdäpfelgulasch, Kaiserschmarrn und Tiroler Gröstl. Für eine Woche ist doch noch einiges an Variation möglich. Die Atlantiküberquerung wird wohl mehr Risotto, Pastavariationen und Konserven mit sich bringen. Vorzugsweise kochen wir One-Pot-Gerichte, die sich dann auch ohne Tisch aus einer Schüssel löffeln lassen.

13:00 Internetzeit. Das Satellitenmodem im 90er Jahre-Style bringt auch die gute alte Internetzeit zurück. Zuerst formulieren wir E-Mails und stellen sie in die Outbox. Mit hoffentlich einer einzigen Datenverbindung versenden wir dann die Mails und empfangen gegebenenfalls welche. Die ARC schickt uns jeden Tag einen Wetterbericht, die Positionen der anderen Regattaboote und ggf. wichtige News. Mit diesen Infos sind wir dann ein Weilchen beschäftigt und planen den Kurs und die Segelfläche für die nächsten 24 Stunden.

14:00 Zweite Entspannungsphase. Der geistigen Anstrengung folgend lümmeln wir dann wieder eine Weile im Cockpit herum oder machen Nickerchen unter Deck. Daheim haben sich viele gesorgt, ob wir uns nicht zu viel sehen werden wenn wir jede Minute zusammen auf dem engen Boot verbringen. Im Segelumfeld meinten hingegen viele, dass man sich beim double handed sailing nur selten sieht und praktisch nie gemeinsame Zeit hat. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Wir nutzen schon unsere Chancen auf ein Nickerchen, sind aber hinsichtlich unserer Nachtschichten so gut eingestellt, dass wir doch ein paar gemeinsame Tagesordnungspunkte einplanen können.
15:00 Jause. Bewährt hat sich hier insbesondere die Kombi aus einem grünen Apfel und einem Kinder Bueno. Aber ähnlich wie an einem Bürotag gibts auch Kekse, Schoki, Pudding oder Obst zum Auffüllen des nachmittäglichen Zuckerdefizits.
16:00 Dritte Entspannungsphase. Ich glaub es wird schon deutlich – so viel gibt es nicht zu tun. Die Tage bestehen hauptsächlich aus Essen und Schlaf nachholen. Manchmal spielen wir was, schreiben oder lesen. Hier in relativer Küstennähe gibt es noch einige Möwen, die wir interessierter beobachten als wir es sonst tun würden. Ein Highlight sind die fliegenden Fische, die es zuhauf gibt und die wie Rebellenschwadronen über die Wellen flitzen (leider zu klein zum Filmen).
17:30 Vorabendprogramm. Wir beginnen uns auf die Nacht vorzubereiten. Wir planen, wann und was wir essen wollen, gehen alle ein bis zwei Tage duschen und räumen auf, was sich untertags so im Cockpit ansammelt. Dann wurschteln wir uns unmittelbar vor der Nachtwache in drei Schichten Gewand und werfen die Rettungswesten über. Die Kleidungsschichten werden dann hoffentlich Richtung Westen täglich weniger.

18:30 Sonnenuntergang. Wir beginnen unser Wachrad. Wir wechseln uns ab im Rhythmus 2,5 – 4 – 4 – 2,5 Stunden – immer abwechselnd einer an Deck und einer unter Deck. Hier gibt es viele Philosophien, aber diese war ein neuer Versuch und hat uns gefallen. Die erste Schicht ist gemütlich – noch nicht zu kalt und feucht – und wird gern zum einsamen Abendessen genutzt. Unter Deck wird meist eher gedöst statt wirklich geschlafen.


21:00 Die erste 4-Stunden-Schicht an Deck wird ebenfalls gern zum Abendessen genutzt. Während in der ersten Schicht noch wenig an Deck gedöst wird, stellen wir uns in den langen Schichten gern Sleeptimer auf 15-20 Minuten. In diesem Intervall kontrollieren wir Kurs, Segelstellung, AIS, Windstärke und machen einen Rundumblick. Für Windänderungen und Kollisionskurse mit anderen Schiffen haben wir zudem automatische Alarme gestellt. Gesteuert wird übrigens fast durchgängig von unserem fantastischen Autopiloten – er ist unser tüchtigstes Crewmitglied.
01:00 Rollentausch. Wer gerade die erste lange Schicht hinter sich hat verkrümelt sich unter Deck zum Schlafen. Optional haben wir einen Schlafplatz in der Achterkabine und einen im Salon hergerichtet. Je nach Wind und Welle ist mal der eine, mal der andere gemütlicher. Durchschlafen klapp nicht ganz, aber nach mehreren Tagen schläft man immer länger am Stück. An Deck herrscht hier die Schicht der Kamikaze-Fische. Häufiger kratzen wir in der Früh kleine (tote) fliegende Fische vom Deck, einmal einen kleinen Kalmar. Einmal springt aber ein gar nicht so kleiner fliegender Fisch direkt ins Cockpit, wo er mich – Fitzek-Hörbuch hörend – zu Tode erschreckt, als er auf meinen Füßen landet. Ich brüll los, Bernhard kommt nach oben geeilt und wirft ihn zurück ins Wasser. Wahrscheinlich hat ers überlebt. Im nächsten Moment fragen wir uns, ob wir ihn nicht hätten braten können, wenn er sich so bereitwillig in unsere Mitte begibt… Einmal sehen wir ganz kitschige Nachtdelfine im hellen Mondschein. Insgesamt konnten wir abgesehen von bereits genannten Tieren noch eine große Meeresschildkröte, einen riesigen Mondfisch und den Blas und die Finnen von zwei oder drei Walen in der Ferne beobachten, vermutlich Buckelwale.

05:00 The darkest hour. Kurz vor dem Sonnenaufgang ist es zwar nicht am dunkelsten, aber am kältesten. Der Sonnenaufgang um ca. 7 Uhr versteckt sich fast immer hinter Wolken und warm wird es erst etwa gegen 8:30 Uhr.
07:30 Bonusrunde. Noch einmal eine Stunde schlafen und aufwärmen für denjenigen, der die letzte Nachtschicht übernommen hat. Dann gibts Frühstück und die Routine beginnt wieder von vorne.


Kap Verde in Sicht
Brandaktuell:
Wir kehren gerade heim von der Willkommensfeier in Mindelo. Bis Freitag sind wir jetzt noch hier und dann geht es über den großen Teich. Wir werden uns davor noch mit ein paar Eindrücken aus São Vicente melden, wo uns morgen eine Inselführung bevor steht.
