Nächtliche Adrenalinschübe

Wir verlassen Brindisi also etwas hektischer und unbürokratischer als geplant. Kurz nach dem Aufbruch organisieren wir einen Liegeplatz für die Nacht – und gleichzeitig für die nächsten drei Wochen – und beginnen unseren letzten 13-stündigen Schlag Richtung Norden nach Bari. Die Dünung ist deutlich schwächer und der Wind abgeflaut, sodass wir weite Teile der Strecke unter Motor bewältigen müssen.

Abendstimmung in Apulien

Als es dunkel wird und wir die Küste entlang motoren, fällt uns ein Boot auf, das aus einiger Entfernung direkt auf uns zu kommt. Auf dem Kartenplotter sehen wir keine AIS*-Daten, darum fällt es schwer, seinen Kurs und die Gefahr einer Kollision abzuschätzen. Nach einigen Sekunden bemerken wir, dass das Schiff mit hoher Geschwindigkeit unterwegs ist, denn die Lichter kommen sehr schnell näher. Ein kurzer Panikschub erfasst Franz und mich – sieht es uns trotz unserer Positionslichter nicht? Das Schiff rast kurz darauf gefühlt 5 Meter hinter unserem Heck vorbei, schaukelt uns ordentlich durch und ist nach wenigen Sekunden wieder in der Dunkelheit verschwunden – Was war das denn???

Eine gute Stunde später eine ähnliche Situation: Aus vollkommener Dunkelheit heraus tauchen in bedrohlich geringer Distanz Positionslichter auf. Ein rasend schnelles und kaum hörbares Schiff hält auf uns zu. Kurz noch der Gedanke, ob wir von Bord springen sollen, da uns dieses Schiff in wenigen Sekunden halbieren würde. Es bremst unmittelbar neben uns ab, als wir plötzlich von grellem Licht aus mehreren, direkt auf uns gerichteten Scheinwerfern geblendet werden. Pia und ich verharren ein paar Sekunden in Schockstarre im Cockpit. Dann gehen die Scheinwerfer wieder aus und mit ihm auch die Positionslichter. Innerhalb weniger Sekunden ist das Schiff in der schwarzen Nacht verschwunden, doch erkenne ich diesmal für den Bruchteil einer Sekunde die graue Farbe des Rumpfes und die schwarze Schrift: GUARDIA FINANZA.

Das Internet gibt preis: Die Guardia di Finanza ist die italienische Finanz- und Zollpolizei, die auch für den Grenzschutz in den küstennahen Gewässern verantwortlich ist. Zu diesem Zwecke steht eine Flotte von über 200 bewaffneten Schiffen bereit, die teils über 70 Knoten (130 km/h) schnell sind und damit zu den schnellsten Einsatzschiffen Europas zählen. 

Bereits in der Straße von Messina haben wir immer wieder diese markanten grauen Schiffe gesehen – teils vor Anker, teils vor den Hafenbüros liegend. Vielleicht haben wir mit unserem stillgeschalteten AIS (die Umprogrammierung war noch ausständig) in dieser Gegend einen verdächtigen Eindruck gemacht, denn es werden wohl auch Segelyachten zum Schmuggel von Menschen, Waren oder Drogen missbraucht. Ganz klar ist aber: Die wollten uns einen gehörigen Schrecken einjagen, denn man hätte uns auch freundlich anfunken können, insbesondere da bei 65 Knoten Geschwindigkeitsunterschied eine sehr geringe Fluchtgefahr besteht…

Liftkanal, Nautica Ranieri, Bari

Es bleiben noch einige Stunden, um die aufregenden Momente zu verdauen, bevor wir in Bari einlaufen. Aufgrund unserer späten Ankunftszeit kurz nach 1 Uhr dürfen wir, wie vereinbart, nicht mehr in der Marina anlegen, aber netterweise die Nacht im Liftkanal verbringen. Am nächsten Tag bekommen wir unseren Liegeplatz für die nächsten drei Wochen zugewiesen. Mit einem letzten gemeinsamen Mittagessen beschließen wir das erste Kapitel der Überstellung. Die Flucht aus Genua ist geglückt. In drei Wochen geht es dann weiter – Arrivederci Mêlée!

Leuchtfeuer San Cataldo, Bari

*AIS = Automatic Identification System – über dieses schlaue System zum Tracken von Schiffspositionen und Zusatzinformationen könnt ihr unsere Route künftig online verfolgen. Die erforderlichen Daten dazu geben wir noch bekannt, wenn das Gerät im Schiff installiert ist 🙂